Ella und Nell sind beide Anfang 40 und seit fast 20 Jahren befreundet. Nach längerer Funkstille machen sie zusammen einen Wanderausflug und versuchen an frühere Zeiten anzuknüpfen. Zu Beginn von Ella und Nell dreht sich eine Eule der Kamera entgegen. Ihr Gesicht ist für uns Menschen unmöglich zu lesen. Es wirkt würdevoll, mysteriös, gespannt, sicher angriffslustig und gleichzeitig auch ein bisschen niedlich. Wahrscheinlich liegt es am gegenwärtigen Zustand ihres Betrachters, wie er dieses enigmatische Gesicht liest. Beim Wandern durch den Wald gibt es immer wieder diese Situationen, die in Sekundenbruchteilen kippen können. Wo der Eine noch die Bäume bewundert, erschrickt der Nächste ob eines Knackens im Unterholz. Letztere Rolle fällt im Film Ella (Stephanie Petrowitz) zu. Sie hat sich von ihrer Freundin Nell (Kirsten Schlüter) zu einer Wanderung durch das sächsische Elbsandsteingebirge überreden lassen und schnell fragt man sich, warum diese wunderschön urwüchsige Landschaft eigentlich so selten im Kino zu sehen ist. Ella und Nell beginnt in Berlin, von hier brechen die beiden Großstadtpflanzen auf. Für den größten Teil des Films suchen sie dann aber ihren Weg durch den Wald. Das Licht fällt grüngolden durch das dichte Blätterdach und die Berggipfel gewähren einen atemberaubenden Blick. Die dffb-Absolventin Aline Chukwuedo hat ihr Langspielfilmdebüt aber nicht nur wegen des schönen Grüns in der Natur angesiedelt. Vielmehr wird der dichte Wald bei ihr zur Seelenlandschaft. Nur nicht so richtig zur Seelenlandschaft von Ella oder Nell, denn von den Frauen, beide etwa um die Vierzig, erfahren wir recht wenig. Ella hat Familie, ist kürzlich in ein Eigenheim gezogen, spielt mit dem Gedanken, ein Café zu eröffnen. Nell hat gerade ihre Doktorarbeit geschrieben, übernachtet aber temporär in einem Yogastudio. Die Gründe bleiben im Ungefähren, aber anscheinend hat sie einen Klinikaufenthalt hinter sich – Ella hat sich währenddessen nicht gemeldet. Unausgesprochenes liegt also in der Luft, unterschwellige Vorwürfe, Aggressionen. Chukwuedo nutzt in Ella und Nell kaum Musik und bei der Montage lässt sie sich vom Wald helfen. Lass den sommer nie wieder kommen. Immer wieder zerschneiden kleine Äste und Zweige das Bild, gedrungene Felsen schließen das Licht aus, zwingen die Freundinnen, sich zu ducken oder durch schmale Gänge hindurchzuzwängen. Ständig ist der Pfad abgeschnitten, zugeschüttet, dann muss ein improvisierter Umweg her. So entwickelt der Film gelegentlich eine regelrechte Horroratmosphäre. Kirsten SchlüterJederzeit scheint er sich in jede Richtung entwickeln zu können: ein wildes Tier könnte auftauchen, ein Mann mit Messer hinter der nächsten Biegung stehen, Ella und Nell könnten sich gegenseitig zerfleischen, psychisch oder physisch. Aber der Film verläuft antiklimatisch. Ellas schlimmste Ängste bestätigen sich nicht, Nell findet den Weg. Wer ein Pferdeleben retten möchte, sollte sicherstellen, dass er dem Pferd artgerechte Haltung, gute medizinische Betreuung und Zuwendung garantieren kann. Wer meint sie 23 Stunden in einem Boxenstall abzustellen und dann gerade mal für eine Stunde in einer staubige Halle zu bewegen, rettet ihnen nicht das Leben, sondern verurteilt sie zum Vegetieren. Christian Martin SchäferEs braucht auch nicht mehr als die Suggestion von Horror. Das Gefühl unbekannte Wege zu beschreiten. Vielleicht könnte man sagen: der Wald in Ella und Nell steht für die Untiefen, die man in Augenblicken der Achtsamkeit zu finden droht. Die es so schwierig machen, beunruhigende Gedanken über das eigene Leben zuzulassen, weil es leichter ist, einfach weiter zu strampeln. Nell hat das sumpfigste Gebiet schon hinter sich: sie stapft mit einem winzigen Rucksack staunend und sorglos durch die Welt, lässt sich nicht mehr so leicht erschüttern.
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March 2019
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